Vorweg: Ich kann allen, die „irgendwas mit Medien“ machen, die Lektüre des Werkes von Corinna Milborn und Markus Breitenecker nur ans Herz legen. Für jene, die vor der Medien-Enquete am 7./8. Juni 2018 nicht mehr das ganze Buch lesen können, habe ich versucht, die wichtigsten Kernpunkte herauszuarbeiten.
1. Regulierung: Facebook und Youtube sind keine reinen Plattformen, sie sind Medienunternehmen und müssen sich daher den Regeln derselben unterwerfen.
Diese Erkenntnis ist insofern überraschend, weil Breitenecker im Jahr 2016 noch eine „Frenemy“-Strategie propagierte (zum Beispiel hier). Von Frenemy kann jetzt keine Rede mehr sein: Es finde ein „Wirtschaftskrieg“ statt, in dem „schmutzig gespielt, aber freundlich gelächelt“ werde. Dass sich die „Frenemy“-Strategie wohl überholt hat, habe ich hier in meinem Blog bereits einmal thematisiert.
Milborn und Breitenecker leiten gut nachvollziehbar die Beweggründe der Sillicon-Valley-Gründer her und begründen ausführlich, warum Facebook und Youtube auch Herausgeber von eigenen, im Zentrum des Erfolges stehenden Medienprodukten sind und sich gegen die Einordnung als klassische Medienunternehmen bisher erfolgreich gewehrt haben (meine Bedenken zu den Aktivitäten von Facebook und Google habe ich in diesem Blogbeitrag artikuliert):
„Die Tatsache, dass Facebook und YouTube mit großem Aufwand abstreiten, Medien herauszugeben – um sich nicht an die Regeln halten zu müssen, die für Medienunternehmen gelten –, verschafft ihnen einen enormen Vorteil gegenüber europäischen Medienunternehmen: Medienrecht nicht einzuhalten und die Informationen, die man verbreitet, nicht zu überprüfen, spart enorme Redaktionskosten – die großen Neuen Medien kommen ohne einen einzigen Journalisten aus.“
Milborn und Breitenecker argumentieren, dass Facebook und Google die größte Chefredaktion der Welt seien und massiven Einfluss auf die Inhalte hätten, die heute für das Internet produziert werden. Die beiden Autoren konstatieren einen Zusammenhang zwischen den „Sozialen Medien“ und dem Aufstieg von Rechtspopulisten und rechtsextremen Parteien und Gruppen in Europa, auch ein Seitenhieb auf die Russland-Connection der FPÖ darf in diesem Zusammenhang nicht fehlen:
„Im deutschsprachigen Raum befassten sich die Gesetzgeber bisher nicht mit der Möglichkeit, dass ausländische Einheiten die Wahlen mit Postings und Werbung beeinflusst haben könnten – trotz offizieller Kooperationsabkommen zwischen Parteien wie der AfD und der FPÖ mit der Kreml-Partei „Einiges Russland.“
In einem Nebensatz versteckt findet sich eine Aussage, die bei konsequenter Umsetzung wohl halb „Austro-Twitter“ in Panik versetzen könnte: Aktivitäten von in Medienhäusern angestellten Journalistinnen und Journalisten könnten unter „übliche Konkurrenzverbote“ gestellt werden, weil sich aus der Treuepflicht von Angestellten ergäbe, dass man für Mitbewerber nicht arbeiten dürfe, schon gar nicht in der eigenen Arbeitszeit. Ein spannender Gedanke, wenn man sich zum Beispiel die Twitter-Aktivitäten der sogenannten „Twitter-Alphas“ und die entsprechenden Arbeitszeiten ansieht.
2. Kooperation: Sowohl auf europäischer als auch auf österreichischer Ebene sollen Kooperationen das Konkurrenzdenken ablösen
Neben bereits bekannten Vorschlägen zur Zusammenarbeit (wie etwa „Gemeinsame Forschung“, „Single Log-In“, „Europäische Suchmaschinen und Netzwerke“) thematisieren Milborn und Breitenecker einen wichtigen Aspekt, der meines Erachtens leider oft übersehen wird, nämlich das Fehlen einer europäischen Medienbühne:
„Mangels einer europäischen öffentlich-rechtlichen Diskurs-Plattform bleibt auch die europäische Demokratie leblos und verhaftet in nationalen Partikulardebatten. Obwohl 60 bis 70 Prozent der Gesetze auf EU-Ebene beschlossen werden, gibt es sehr wenig EU-weiten demokratischen Diskurs über diese Entscheidungen und kaum Medien, die die Kontrollfunktion auf EU-Ebene wahrnehmen.“
3. Modernisierung und Ausweitung des öffentlich-rechtlichen Mediensystems
Für manche vielleicht überraschend sehen Milborn und Breitenecker einen Ausweg aus dem allgemeinen Dilemma in einer Ausweitung des öffentlich-rechtlichen Mediensystems, nicht allerdings ohne ausführlich darauf hinzuweisen, dass dies einiger tiefgreifender Änderungen bedarf, was die Autoren in zehn Aufträgen beschreiben (meine Gedanken zu einer "zeitgemäßen Medienpolitik" habe ich in diesem Blogbeitrag festgehalten):
a) Der Allianz-Auftrag: Kooperation statt Konkurrenz
b) Der Public-Value-Auftrag: Hohe Qualität im Sinne des Gemeinwohls
c) Der Effizienzauftrag: Public-Value-Qualität nach Bestbieter- Prinzip
d) Der Unabhängigkeitsauftrag: Auftrag zur politischen, wirtschaftlichen und journalistischen Unabhängigkeit
e) Der All-Media-Auftrag: Gattungsneutral und inhaltsbezogen
f) Der Auftrag zu Wertschöpfung in der EU: Facebook- und YouTube-Verbot für die öffentlich-rechtlichen Anbieter
g) Der Forschungsauftrag: Investitionen in digitale Forschungs- und Entwicklungsprojekte
h) Der Auftrag zum Ausgleich von Marktversagen
i) Der europäische Auftrag: Medienallianzen in Europa
j) Der gesellschaftliche Auftrag: Europäische Demokratie und den Standort Europa fördern
Nachdem insbesondere Markus Breitenecker bislang nicht als großer Fan des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufgefallen ist, macht die Aussage „Wenn es das öffentlich-rechtliche System nicht gäbe, müsste man es jetzt neu erfinden“ zuerst wohl etwas stutzig. Aber bei näherem Hinsehen bliebe ausser der öffentlich-rechtlichen Kernaufgabe von einem ORF in seiner jetzigen Form nicht viel übrig, wenn die Ideen von Milborn und Breitenecker konsequent umgesetzt würden.
Zusammengefasst ist das Werk von Corinna Milborn und Markus Breitenecker dank des flüssigen Schreibstils angenehm zu lesen, führt von der weltweiten Perspektive gekonnt in den „Schrebergarten Österreich“ und wird meiner Meinung nach die Medienpolitik in Österreich in den nächsten Jahren zumindest mitprägen.
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Ein sehr ausführliches und gutes Gespräch mit Corinna Milborn und Markus Breitenecker haben Eva Weissenberger und Sebastian Krause im Podcast "Ganz Offen Gesagt" geführt.