Medienenquete vorbei - was kommt jetzt?

Die mit Spannung erwartete Medienenquete brachte viel Erwartbares und einiges Überraschendes. Jetzt sind alle gespannt welche Folgen die Enquete haben wird. Hier meine völlig subjektiven sieben Thesen, welche Auswirkungen die Enquete auf die österreichische Medienlandschaft haben wird:

 

These 1: Der ORF bleibt erhalten, aber er wird sich verändern (müssen).

 

Einer der wenigen Konsenspunkte auf der Enquete (nachzusehen hier) war die Einschätzung, dass es in Österreich ein starkes, öffentlich-rechtliches Medienunternehmen braucht. Die Vorstellungen, wie dieses Unternehmen aussehen und finanziert werden soll, gehen allerdings weit auseinander. Ich wage folgende Prognose:

 

Es wird keine Abschaffung der GIS-Gebühren und keine Budgetfinanzierung des ORF geben. Damit die FPÖ – die ja eine Abschaffung der GIS-Gebühr fordert – nicht völlig ihr Gesicht verliert wird es zu einer Senkung der GIS-Gebühren kommen. Diese Senkung wird bewerkstelligt, indem jene Gebühren, die derzeit nicht dem ORF zukommen (zirka 1/3), mit Ausnahme der Umsatzsteuer aus der GIS-Vorschreibung herausgenommen werden. Die FPÖ wird dies begründen, man sei aus staatsmännischer Räson von der Maximalforderung zurückgetreten, aber immerhin habe man eine deutliche Ersparnis für die Bürgerinnen und Bürger erkämpft. 

 

Der Betrag, der dann dem Bund und vor allem den Ländern fehlt, wird durch eine zweckgebundene Steuer auf den „Digitalen Betriebsstandort“ kompensiert. Diese Abgabe soll in erster Linie die Internetgiganten Facebook und Google dazu zwingen, mehr Steuern in Österreich zu zahlen. 

 

Um den ORF fitter zu machen (und damit dem fünften Punkt der beeindruckenden Rede von Gerhard Zeiler zu folgen) werden im neuen ORF-Gesetz neben einer Schärfung des öffentlich-rechtlichen Auftrags auch Restrukturierungs- und Sparziele enthalten sein.

 

Ein Sparziel könnte sich indirekt auch daraus ergeben, dass der ORF gezwungen wird, Teile seiner Vermarktungserlöse in einen Pool zu geben, aus dem heraus Public-Value-Projekte finanziert werden, um die sich aber auch private Medienunternehmen bewerben können. In diesem Zusammenhang ließ Bundeswettbewerbsbehörde-Chef Theodor Thanner mit der Bemerkung aufhorchen, er sehe die umfangreichen Werbemöglichkeiten des ORF durchaus kritisch.

 

Darüber hinaus prognostiziere ich den gesetzlichen Auftrag, dass der ORF in zu bestimmenden Fällen bei der Schaffung von Public Value mit den privaten Medienanbietern kooperieren muss, zum Beispiel im Bereich der Information, des Archivs oder bei Sportrechten. 

 

These 2: Von der europäischen Medienpolitik wird nichts zu erwarten sein.

 

Speziell wenn es um den Umgang mit den Internetgiganten aus den USA geht wird von vielen Stakeholdern gerne eine „europäischen Lösung“ gefordert. Leider wird die Delegation der Problemlösung auf eine europäische Ebene nicht funktionieren, wie aus dem Vortrag der EU-Kommissarin Vera Jourova deutlich hervorging. Sie bekannte freimütig, dass von der EU keine Beschränkungen für die US-Giganten zu erwarten seien, schon gar nicht vor den 2019 anstehenden Europa-Wahlen. Die Aufforderung an die Nationalstaaten, diese Zeit für gesetzgeberische „Experimente“ zu nutzen, könnte man auch als Bankrotterklärung einer europäischen Medienpolitik werten.

 

Es wird somit mittelfristig den österreichischen Gerichten obliegen, jene Bereiche von Facebook, Google und YouTube zu reglementieren, in denen diese als Medien und nicht nur als technische Plattformen agieren (ein wichtiges Urteil, das in diesem Zusammenhang die Pro7Sat1Puls4ATV-Gruppe erkämpft hat, siehe hier). Aus den Stellungnahmen von Medienminister Gernot Blümel zu diesem Thema leite ich ab, dass die Gerichte hierbei auf die Rückendeckung der österreichischen Medienpolitik zählen können.

 

These 3: Das österreichische Kartellrecht wird reformiert um digitale Zusammenschlüsse zu erleichtern.

 

Kern jedes Kartellprüfung-Verfahrens ist die Definition bzw. Abgrenzung des relevanten Marktes. Während dies früher durch die nationalstaatlichen Grenzen relativ einfach war, bringt die Digitalisierung neue Herausforderungen mit sich, weil digitale Angebote eben nicht vor Landesgrenzen halt machen. Aus den vorsichtigen Formulierungen von Bundeswettbewerbs-Behörde-Chef Thanner schließe ich, dass zumindest in Österreich eine Reform des Kartellrechts in Blickrichtung Definition digitaler Märkte zu erwarten ist. Diese Reform wird Zusammenschlüsse österreichischer Akteure erleichtern und soll damit die Konkurrenzfähigkeit zu Facebook, Google & Co erhöhen (mehr zur Bedrohung der heimischen Medienlandschaft durch die Regionalisierungsstrategie der Internetgiganten hier).

 

These 4: Die Machtachsen in der österreichischen Medienlandschaft werden sich weiter verschieben.

 

Ein Blick in das ORF-Gesetz zeigt klar auf, wie in den vergangenen Jahrzehnten Medienpolitik in Österreich funktionierte: Wenn der ORF oder der mächtige Zeitungsverlegerverband VÖZ etwas von der Politik wollte, schickten die Entscheider in der Politik die eine Gruppe zur jeweils anderen mit dem Hinweis, sich als allererstes die Zustimmung des ORF oder eben des VÖZ zu sichern. Dies endete meist mit dem Abtausch von Privilegien, die dann im ORF-Gesetz oder im Presseförderungsgesetz abgebildet wurden. Das Kalkül der Politiker, mit dieser Beruhigungspolitik keines der damaligen Leitmedien gegen sich aufzubringen, ging jahrzehntelang mit wenigen Ausnahmen gut auf.

 

Mit der Fragmentierung der Medienlandschaft durch das Erstarken der privaten Fernsehsender (hier vor allem die Pro7Sat1Puls4ATV-Gruppe unter Markus Breitenecker, dessen vielbeachtetes Buch ich hier zusammengefasst habe), der Gratiszeitungen sowie der digitalen Medienanbieter wurde dieses Verhandlungsmonopol durchbrochen. Der Rückgang der Bedeutung von Printmedien sowie die Schwächung des ORF-Monopols wird die Verschiebung der früheren Machtachsen weiter vorantreiben.

 

These 5: Die handelnden Akteure werden konsensfähig sein aber nur solange es nicht ums Geld geht.

 

Oberflächlich bestand bei der Medienenquete viel Konsens zwischen den verschiedenen Interessensgruppen. Spätestens aber wenn es um die konkrete Verteilung von Geldern ging wurde absehbar, dass eine Einigung unter den Akteuren ohne klare Ansagen von Seiten der Medienpolitik völlig unrealistisch ist. Nicht einmal die gemeinsamen „Außenfeinde“ aus dem Silicon Valley werden es ermöglichen, dass die umsetzungsstarken Player auf dem österreichischen Medienmarkt selbst zu konsensualen Lösungen finden, die den österreichischen Medienstandort als Ganzes voranbringen.

 

These 6: In Sachen „Kunden- und Zukunftsorientierung“ haben die österreichischen Medienplayer noch einen weiten Weg vor sich.

 

Die Internetgiganten aus dem Silicon Valley haben zuerst Kundenwünsche derart exzellent erfüllt, dass sie zu weltweiten Playern mit Milliarden-Umsätzen aufgestiegen konnten und haben sich erst dann in machtpolitische Ränkespiele eingelassen. Bei der Enquete konnte man den Eindruck gewinnen, in Österreich funktioniere das genau verkehrt herum: Zuerst werden machtpolitische Überlegungen ausgetauscht, erst später (wenn überhaupt) wird überlegt, welche Bedürfnisse die UserInnen und LeserInnen eigentlich haben und wie diese bestmöglich erfüllt werden könnten. Kein einziges Mal wurde ein Thema auf einem Panel ernsthaft und ausführlich aus der Kundenperspektive (weder Leser/User noch werbende Kunden) beleuchtet. 

 

In Sachen Zukunftsorientierung war es auch nicht besonders vertrauenserweckend, als NEOS-Mediensprecherin Claudia Gamon von der Bühne herab die unter 30-jährigen im Publikum um ein Handzeichen bat, worauf hin nur geschätzte fünf Hände in die Höhe gingen. Auch in puncto Diversität besteht noch einiger Aufholbedarf, der Frauenanteil bei der Medienenquete lag meiner Schätzung nach bei weniger als 20 Prozent.

 

These 7: Die durch die Digitalisierung ausgelösten Veränderungen lassen sich auf der Sachebene besser als auf althergebrachten Macht- und Beziehungsebenen lösen.

 

Für den demokratischen Diskurs und eine funktionierende Medienlandschaft bietet die Digitalisierung weitreichende Chancen (was in diesem Zusammenhang eine "zeitgemäße Medienpolitik" sein könnte habe ich hier beschrieben). Die Zeiten, in denen wenige, dafür umso mächtigere Männer in Hinterzimmern Medienpolitik hauptsächlich zu ihrem jeweiligen Vorteil betrieben haben, sind vorbei. Die komplexen Herausforderungen der Gegenwart lassen sich nur mehr durch eine sachorientierte Herangehensweise lösen. Das ist wohl der größte Verdienst der Medienenquete, die die wichtigsten Akteure durch den sanften Zwang zum sachlichen Austausch zum Teil in neue Rollen drängte, die wohl künftig weiter gefordert sind, in die aber so manche/r erst hineinwachsen muss.

 

Update vom 12.06.2018:

 

Der Medienhistoriker Fritz Hausjell hat meinen Blogbeitrag aufmerksam gelesen und in einem Tweet kritisiert, dass es kein ORF-Monopol mehr gäbe. In diesem Punkt hat er wohl Recht, in These 4 müsste die Formulierung richtigerweise „… sowie die Schwächung der marktbeherrschenden Stellung des ORF…“ lauten.